Zwei Orte – zwei Charaktere

Im Blogartikel „Ein Ort zum Innehalten“ habe ich schon erwähnt, dass meine Frau und ich auf dem Nachhauseweg aus Bayern einen Abstecher nach Kirchheimbolanden machen werden, in den Ort, aus dem die Vorfahren meiner Mutter kommen.
Das haben wir auch getan.

Bad Sooden Allendorf und Kirchheimbolanden … Zwei Orte, die unterschiedlicher nicht sein können – in Bezug auf die Stimmung, die sie in mir auslösten.
Mein Vater und meine Mutter … sie waren ebenso grundverschieden. Vater – optimistisch, bodenständig, lebensfroh, ganz gleich, wie schwierig er es hatte, wie hart er auch arbeiten musste. Mutter – lebensmüde, depressiv, das Schicksal hatte ihr sehr zugesetzt. Ich denke, sie sehnte sich sogar nach dem Tod und der holte sie früh; sie war erst 58 Jahre alt, als sie starb.
So sehr wie mich der erste Ort aufwühlte und eine positive und lebensbejahende Stimmung in meinem Inneren erzeugte, so sehr deprimierte mich der zweite.
Es war still in Kirchheimbolanden, fast menschenleer. Ich dachte an meine Mutter, stellte mir vor, sie würde jetzt hier die Straßen entlang gehen und spürte ihre Traurigkeit, ihre Wehmut. Obwohl ich an so etwas nicht glaube, war es mir so, als ob der Geist meiner Mutter durch meine Augen die Umgebung wahrnahm – ein gequälter Geist, der sich an nichts erfreuen konnte, der nur die Schatten des Lebens sah.
Meine Mutter hatte das Land ihrer Vorfahren nicht mehr erleben dürfen. 1971 (und noch weniger in der Zeit davor) hatte sie kaum eine Ahnung von ihrer historischen Heimat haben können. Es werden noch zwei Jahrzehnte vergehen, bis ihre Kinder, eins nach dem anderen, sich aufmachten und in diese alte/neue Heimat zurückkehrten.
Fast 30 Jahre lang lebe ich nun in einem schönen, sicheren, freien Land – im Vergleich zu der grauenvollen, menschenverachtenden Diktatur, in der sich das Leben meiner Mutter abspielte. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es auch ein anderes Wertesystem gab. Das macht mich unendlich traurig.
Doch es war gut, diese zwei so unterschiedliche Orte kennenzulernen, sie zu besuchen, an meine Eltern zu denken und mir noch einmal bewusst zu werden, dass sie trotz aller Leiden nicht umsonst gelebt haben. Sie haben ihren Teil zu dem Wohlergehen
ihrer Nachkommen beigetragen. Der Kreis hat sich geschlossen – so sehe ich das.

 

PS: Dass mir dieser Abschluss überhaupt möglich geworden ist, verdanke ich meiner Nichte Lilli und ihrer Ahnenforschung.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0