"Die Reise zurück - Wo ich einmal war", Teil 1
Russland ... Dieses Stichwort ist in fast allen meinen Texten vertreten. Nun wundert es auch denjenigen nicht, der weiß, dass es mein Herkunftsland ist. Das große Land, in dem es immer brodelt, sei es offen in den Zeiten der Revolution, des Krieges, der Perestroika, oder unterschwellig – stets und überall. In diesem Land habe ich die längste Zeit meines Lebens verbracht, bis ich 1992 im Alter von 38 Jahren als Aussiedlerin nach Deutschland kam.
In meiner Heimat hämmerte man den Menschen ein, dass es außerhalb des Vaterlandes kein glückliches Leben gibt, dass jeder, der es verlässt, von böser Nostalgie, von schmerzhaftem Heimweh befallen wird. Die meisten glaubten daran, darunter auch ich. Allerdings habe ich in den mehr als 20 Jahren, die ich schon in der Ferne lebe, kein einziges Mal Sehnsucht nach meiner alten Heimat verspürt, nicht mal in den anfänglichen schweren Zeiten. Ja, ich träume ständig von Früher, aber es sind Träume, voller Ängste und hässlicher Szenen, eigentlich eher Albträume. Wie oft befinde ich mich wieder in Omsk und stelle mit Entsetzen fest, dass ich nicht mehr wegkommen kann, dass ich meine Arbeit in der Stadtbücherei verloren habe (mit der Gewissheit – diese Stelle kriege ich nie wieder), dass ich keinen deutschen Ausweis mehr besitze. Wenn ich dann wach werde, ist meine Erleichterung – alles nur ein böser Traum! – riesengroß.
Ich wollte nie wieder nach Russland, nie wieder.
Am 10. August 2003 saß ich mit zwei Begleiterinnen im Flieger nach Wien, wo wir in eine Maschine der Lufthansa umstiegen, und nachmittags befanden wir uns schon im Airport Scheremetjewo ... Ich weiß, das muss ich jetzt erklären.
Als ich 1997 mich von meinem Mann getrennt hatte (er war ein waschechter Russe und mehrmals in seiner Heimat zu Besuch, jedoch ohne mich) und mit Dagmar zusammenzog, war sie sehr fasziniert von dem, was ich über das Land erzählte. Sie wollte unbedingt meine Heimat, vor allem Sibirien, kennenlernen. Eine Freundin von uns, die schon viel in der Welt herumgekommen ist, war von der Idee auch sehr angetan und erklärte, sie würde die Reise gerne mitmachen. Ich schwöre – ich hatte mich gewehrt! Ich hatte versucht, die beiden abzuschrecken, in dem ich über alles Mögliche berichtete, was die zivilisierten Menschen so gar nicht gewohnt sind. Es half alles nichts. Obwohl man mir eine gewisse Sturheit nachträgt, schafft man es doch ab und an, mich zu überreden, und so gab ich irgendwann nach. Im Stillen dachte ich mir: „Ok, aber ihr werdet sehen, was ihr davon habt.“
Es war freilich auch eine Kostenfrage, die es zu bedenken gab. So eine Reise für zwei Personen ist teuer. Dieses Problem löste sich völlig unerwartet, als ich überraschenderweise bei einem Gewinnspiel 15000 Euro gewann. Tja, so war der Sprung ins kalte Wasser unvermeidbar.
Die Reise wurde von uns sorgfältig geplant, genauer gesagt, beschäftigte sich damit in unserem Auftrag ein Berliner Reisebüro. Wir hatten vor, bis Moskau zu fliegen, ab da sollte es mit der Transsib in meine Heimatstadt Omsk gehen. Die Rückreise würde nach dem gleichen Muster erfolgen – mit dem Zug bis Moskau, dann mit dem Flieger mit Zwischenstopp nach Deutschland.
Die zwei Mädels brauchten natürlich ein Visum, ich hingegen konnte mir die Kosten dafür sparen, da ich als Aussiedlerin zwei Staatsangehörigkeiten besitze – die deutsche und die russische (dazu gehört natürlich auch der russische Reisepass). Allerdings sorgte dieses Detail für einen großen Schreckmoment im Wiener Flughafen. Meine Mitreisenden passierten ohne Probleme die Zollkontrolle. Als ich jedoch am Schalter meinen russischen Pass vorlegte (wie ich es auch im Düsseldorfer Flughafen tat), fragte man mich nach dem Visum.
„Wie?“ gab ich mich ganz erstaunt: „Ich brauche doch keins!“
„Natürlich brauchen sie es. Sie befinden sich in Österreich, und russische Bürger brauchen für Österreich ein Visum.“
Schockiert stand ich nun da. Dann dämmerte es mir langsam. Ich begriff, was ich falsch mache, packte rasch meinen russischen Pass weg und holte den deutschen Personalausweis hervor. Damit war die Sache erledigt, denn als Deutsche hatte ich selbstverständlich keine Probleme, nach Österreich einzureisen (auch wenn es natürlich nur der Flughafen war).
Moskau empfing uns zwei Stunden später. Es war eine sanfte Landung – in zweierlei Hinsichten. Erstens, weil die Stadt sich zu einer riesigen Weltmetropole entwickelt hat, vergleichbar mit Berlin, sogar eher mit Paris – das „federte“ den Sprung in eine andere Welt etwas ab. Zweitens: Im Airport Scheremetjewo wartete schon ein junger Mann, der uns ins Hotel „Radisson“ chauffierte.
In einem schwarzen Wolga fuhren wir durch die Straßen, und er erzählte Storys über dies und jenes. Zum ersten Mal musste ich in die Rolle der Dolmetscherin schlüpfen und kam ganz schön ins Schwitzen. Meine Begleiterinnen waren voll und ganz auf die vorbeigleitenden Sehenswürdigkeiten konzentriert. Der junge Mann erzählte auch ein wenig über sich – dass er Student sei und mit Fahrdiensten sich etwas dazu verdiene (eigentlich war es mehr, als sein Stipendium).
Am Hotel angekommen, bekam er von uns ein großzügiges Trinkgeld und versprach, am nächsten Tag pünktlich wieder da zu sein, um uns zum Bahnhof zu fahren.
Fortsetzung folgt
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Christel Wismans (Sonntag, 24 Januar 2016 22:47)
Rosa, wie kannst du mittendrin aufhören??? Das ist gemein. Schreib bitte ganz schnell weiter...!!!!!
Rosa (Montag, 25 Januar 2016 10:49)
Christel, Spannung muss sein ;-))
Geli Ammann (Dienstag, 24 Januar 2017 12:16)
Bin gespannt wie es weitergeht liebe Rosa, herzliche Grüße Geli