Das Vergnügen und die Pflicht

17. Welche Jahreszeit fanden Sie als Kind am schönsten und warum?

 

Zu drei Jahreszeiten gibt es bereits Texte von mir, veröffentlicht entweder im autobiografischen Buch oder im Blog („Mein Winter 1969“, „Mein Herbst …“), speziell zum Sommer habe ich noch nichts geschrieben. Warum, frage ich mich und denke: Es liegt wohl daran, dass der Sommer in meiner Kindheit die ’normale‘ Jahreszeit war, die Hauptsaison sozusagen.

Sommer bedeutete: Wärme, Licht, Farbenpracht, viel Vergnügen und neue Entdeckungen. Im Sommer spielte das Leben, wenn ich das so sagen darf, wogegen die anderen Jahreszeiten meine Freiheit doch in gewisser Weise einschränkten. Ich fand es zwar traurig, dass ich drei Monate lang die Schule nicht besuchen konnte, dafür brachte der Sommer viele andere schöne Sachen mit sich, Sachen, die im Winter gar nicht möglich waren. Apropos Schulsystem in Russland: Darüber könnte man haufenweise Negatives erzählen, was ja auch stimmte, nichtsdestotrotz ging ich gern zur Schule (meistens jedenfalls). Aber das Thema Schule werde ich sicher noch in einem der späteren Beiträge aufgreifen.
Zurück also zum Sommer
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Ja, was hatte die kleine Rosa in dieser Zeit so alles getrieben?
Nebst den üblichen Beschäftigungen wie Ballspiele, Verstecken, Seilspringen waren es Baden im Baggersee, Ausflüge in den Wald, Streifzüge durch den Ort. Auf den Dorfstraßen gab es immer etwas zu entdecken, man musste bloß die Augen offen halten. Ich freute mich über jede gefundene Scherbe, jedes Streichhölzerschachtelchen; beides gehörte zu den begehrten Sammelobjekten der Dorfkinder. Interessantes gab es auch an der Schmiede oder auf dem Maschinenhof des Dorfes. Einmal entdeckte ich eine alte Lastwagenkabine, in der noch das Lenkrad und die Sitze vorhanden waren. Für ein Kind, das noch nie ein Auto von innen sah, war es einem Abenteuer gleich, sich da hineinzusetzen und den Chauffeur zu spielen.
Baustellen entgingen den Kindern ebenfalls nicht. Ich erinnere mich noch gut an die Fundamentgruben für den neuen Klub (so etwas wie ein Kulturhaus), an die Stapel der Baumaterialien. Wie wunderbar konnte man da Labyrinth spielen!
Ein beliebter Platz für die Jugendlichen des Dorfes war das naheliegende Wäldchen, in dem eine große Schaukel aufgestellt war. Man traf sich dort zum Lagerfeuer, zum heimlichen Trinken und Rauchen, aber auch einfach zum Abhängen, wie es heute so schön heißt. Das Wäldchen hatte sogar einen Namen, nur leider komme ich nicht mehr darauf. Vielleicht liest jemand aus dem Dorf diesen Text und hilft mir auf die Sprünge? Nebenbei gesagt, hatten so einige der Wälder rund um das Dorf ihre Namen. Ein Wald galt sogar als verboten und war mit Schauergeschichten verbunden. Trotzdem oder gerade deswegen zog er die Kinder an. In diesem Wald befand sich ein Skotomogiljnik (скотомогильник), wörtlich übersetzt: Viehgrab. In dieses Grab warfen die Erwachsenen verendete Schweine und andere Tiere. Die Grube blieb offen und wurde nur mit etwas Kalk bestreut. Man konnte den Gestank schon von Weitem wahrnehmen. Auch ich war ein paar Mal dort und schaute angsterfüllt in den Abgrund hinunter. Ich sag’s euch – es war nicht nur gruselig, für mich war es sehr bedrückend.

Aber außer dem Vergnügen hatte ich auch meine Pflichten zu erfüllen. Von klein auf halfen die Kinder so gut sie konnten ihren Eltern – im Hof, im Haushalt, auf dem Feld und im Kolchos. Es waren nicht unbedingt Arbeiten, die ich gern gemacht hatte, aber in gewisser Weise fand ich doch einen Gefallen daran, es dürfte allerdings nicht zu viel werden. Überwiegend waren es Arbeiten im Garten, wobei das Wort Garten eine etwas andere Bedeutung als die übliche hatte. Unter Garten verstand man das große Kartoffel- und Gemüsefeld, das dem Haus angrenzte und das regelmäßig gepflegt werden musste. Unkraut harken, Bewässern, Ernten waren an der Tagesordnung. Es war immer wieder aufregend, die erste Gurke oder eine erste rote Tomate zu entdecken und sofort zu kosten (natürlich ungewaschen).
Welche Gemüsesorten wurden angebaut, wollt ihr vielleicht wissen? Neben Kartoffeln, Gurken, Tomaten und Erbsen waren es weiße Bohnen, Knoblauch, Zwiebeln, Möhren, Radieschen, Rote Beete, Rhabarber, Weißkohl, Kürbisse, Zucchini. Also nichts Außergewöhnliches. Vom Garten lebten die Menschen fast das ganze Jahr über. Es wurde eingemacht und eingekocht. Die im Herbst geernteten Kartoffeln, Möhren und Rüben kamen in den Keller. Wir hatten einen drinnen unter den Dielenbrettern in der Stube und einen draußen. Aber da wäre ich mit meiner Erzählung auch schon auf dem Weg aus dem Sommer hinaus in den Herbst hinein – in die Zeit, in der das Vergnügen sich zwangsläufig reduzierte, die Pflicht jedoch zunahm, und in der die Schule begann.

Das ist nun meine Antwort auf die Frage 17 – in komprimierter Form, denn alles zu beschreiben würde den Rahmen eines Blogartikels sprengen. Es sei euch jedoch versichert – der Sommer hatte mir den meisten Spaß bereitet, ungeachtet meiner depressiven Verstimmungen. Die waren zwar da, hielten sich aber meistens im Hintergrund, färbten bloß meine Empfindungen in einmal mehr und einmal weniger spürbares Grau.

 

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