Stilles Kind

Die nächsten Fragen und Antworten zu meiner Biografie:

 

7. Waren Sie ein lebhaftes, oder stilles Kind? Was wurde über Sie erzählt?
8. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
9. Was ist eine der frühesten Erinnerungen, die Sie haben?

Mir wurde von anderen erzählt, ich sei kein lebhaftes Kind gewesen, sondern still, schüchtern und ängstlich. So habe ich mich auch selbst in Erinnerung.

Mein Blick zurück reicht bis zu einem gewissen Moment, und ich bin mir fast sicher – dies ist meine allererste Kindheitserinnerung.

 

Ich befinde mich in einem dunklen Zimmer. Aus der offenen Tür dringt spärliches Licht ein, das alles schattenartig aussehen lässt. Ich liege in der Wiege. Sie schaukelt hin und her und immer wieder taucht in meinem Blickfeld die Wand mit einem großen Ölgemälde auf, das einen Fluss und ein kleines Mädchen am Ufer darstellt. (Es wurde von wandernden Künstlern auf Leinen angefertigt – das erfuhr ich natürlich viel später – und diente als Wandteppich). An der Wand steht das Bett meiner Eltern. Ob jemand darin liegt, weiß ich nicht, erkenne aber in den Wölbungen der Decke mehrere graue Wölfe. Ich habe Angst, dass sie gleich auf mich zukommen und mich auffressen werden, und lasse sie nicht aus den Augen. Ich bin so sehr auf die Wölfe fixiert, dass es mir völlig entgeht, von wem ich gewippt werde, wer an meiner Wiege sitzt

 

Dieses innere Bild entstand in dem alten Lehmhaus, in dem ich 1954 geboren wurde und die ersten sieben Lebensjahre verbrachte. Elektrizität gab es im Dorf (und somit auch in unserem Haus) erst 1958. Das Haus verfügte über zwei Zimmer und eine Küche. Die Küche hatte keinen Belag. Der Fußboden bestand aus fester Erde, die unsere Mutter einmal in der Woche mit einem lehmigen Gemisch, dessen Bestandteil auch Kuhmist war, glättete. Danach roch es wieder frisch nach Erde und Heu. Ja, auch wenn es unglaublich klingt – so war es wirklich und der Geruch war sogar ziemlich angenehm.
In den zwei Zimmern des Hauses befanden sich Schlafplätze für zeitweise acht Personen. (Als ich zur Welt kam, war meine älteste Schwester schon verheiratet und aus dem Haus – insgesamt waren wir sieben Kinder). Jedes Kind schlief die ersten zwei, drei Jahre in einer Wiege, die noch der Stiefvater meines Vaters gezimmert hatte. Daraus schließe ich, dass diese Erinnerung aus der Zeit stammt, in der ich höchstens drei Jahre alt war.

 

Noch eine Erinnerung in Verbindung mit der Elektrizität:

 

Eines Morgens (im Alter von vier Jahren) werde ich von lauten Geräuschen geweckt und entdecke fremde Männer im Haus, die durch alle Räume poltern und einander irgendetwas zurufen. Sie sind dunkel gekleidet, haben merkwürdige Gegenstände in den Händen und große Kabelrollen über die Schultern hängen. Mama erklärt mir, dass es Monteure sind, und nach dem ersten Schreck erkenne ich sie auch selbst wieder. Vor einigen Tagen hatte ich gebannt zugesehen, wie sie auf hohe Holzmaste kletterten, mittels großer, eiserner Krallen, die an ihren Stiefeln befestigt waren ...

 

An den ersten Moment mit der neuen Beleuchtung habe ich allerdings keinerlei Erinnerungen. Also war er wohl für mich nicht von großer Bedeutung.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Rosa (Montag, 07 Juni 2021 19:29)

    Diesen Kommentar von Adina, die zwei Jahre älter ist, aber im selben Dorf aufgewachsen ist wie ich, möchte ich gern hier einfügen. Ganz herzlichen Dank, liebe Adina!

    "Rosa, ich kann mich auch noch gut an die Zeit erinnern, wo bei uns elektrisches Licht eingeführt wurde.
    Ich war 6 Jahre alt 1958, und es war eine schwere Zeit für die Familie, mein Papa war schon sehr krank, es waren seine letzten Tage …
    Die Monteure waren, sagte man, челдоны.
    Ich kann mich gut dran erinnern, wie alle Angst hatten, das erste Mal das Licht anzuschalten. Und, es hat sich im Dorf auch rumgesprochen, dass das neue Licht sehr schädlich für die Augen ist.
    Ich weiß noch, dass Mama am Anfang nur für kurze Zeit es angeschaltet hat, und es kam immer wieder noch dir Kerosin-Lampe auf den Tisch. Ich musste immer die Gläser mit Zeitungspapier putzen, und oft sind mir auch welche kaputtgegangen. Aber auf'm Dachboden hing immer eine Schnur mit neuen Lampengläsern: 7-Brenner, 6-Brenner …, so schimpfte man die, glaube ich.
    In dem Jahr, wo ich geboren wurde, 1952, haben die Eltern unser Haus gebaut, da waren auch gleich Dielen reingekommen, aber in der Sommerküche, die an das Haus dran gebaut wurde, da hatten wir auch Lehmboden, den wir auch noch in den 60ern hatten, und den ich jeden Samstag mit Kuhmist auffrischen musste. Das Kränzchen musste immer sehr gerade abgezogen werden, und ich hatte immer so viel Freude an dem Endergebnis.
    Und der Geruch störte auch gar nicht. Die Hände waren gelb, aber danach ging es ja in die Kolchos-Banja (Gemeinschafts-Banja) und das Stück Seife, meist Kernseife, machte die Sache wieder gut.
    Rosa, du, mit deinen autobiografischen Geschichten, weckst so viele Erinnerungen."