"Die Reise zurück - Wo ich einmal war", Teil 3.2
Auf den Straßen von Omsk
Es hat sich vieles verändert und doch war die Stadt immer noch die alte, die aus meiner Vergangenheit. Es fühlte sich an, als ob meine Träume in die Wirklichkeit eingedrungen wären. Die Menschen, die bekannten Straßen und Gebäude riefen Erinnerungen wach, sogar Empfindungen von damals kamen wieder hoch. Mit dem Wissen - ich bin nur Gast hier, nur für kurze Zeit - ergaben sie eine seltsame Mischung aus Wehmut, Hoffnung, Nidergeschlagenheit, Unruhe. Trotz alledem war da auch die freudige Erwartung, die Neugier. Wenn ich mir jetzt die Reisebilder ansehe, kann ich es wiederum kaum glauben, dass ich durch diese Straßen wirklich einmal gelaufen bin ...
Im Stadtpark
Diese gut gelaunten Jungs im Park waren gerade dabei, die Blumen zu gießen – in Omsk sollte demnächst eine Blumen-Ausstellung stattfinden. Als sie uns sahen (wir waren überall sofort als Ausländerinnen erkannt worden), baten sie, ein Foto für Deutschland von ihnen zu machen. Auf meinen Einwand, dass sie es ja sowieso nie zu sehen bekämen, antworteten sie lachend: "Das macht nichts, wir wollen trotzdem für euch posieren."
Straßenverkehr in Russland? Ich kann mir nicht mehr erklären, wie ich es vor 24 Jahren geschafft habe, die Führerschein-Prüfung zu bestehen, und das gleich im ersten Anlauf (mein Mann und mein ältester Sohn waren durchgefallen). Obwohl ... so schlimm wie 2003 war es damals, im Jahr 1992 noch nicht.
Keine von uns drei Frauen hätte sich getraut, in Omsk ein Auto zu fahren. Wenn man das Bild oben sich genauer ansieht, merkt man, das die Fahrzeuge jede Sekunde bereit sind, loszubrausen, und die Fahrer haben es so eilig, dass sie fast bis zur Mitte der Kreuzung vordringen, obwohl die Ampel rot zeigt. Sie stehen quasi in den Startlöchern und warten auf den Startschuss.
Die Geschichte dieser Skulptur ist rührend und traurig. Es gab im 19. Jahrhundert in Omsk einen Generalgouverneur Gasfort, deutscher Herkunft. Er war schon 63, als er zum zweiten Mal die noch sehr junge Ljuba (Ljubov) aus der Adelsfamilie heiratete. Im Alter von 17 Jahren erkrankte Ljuba plötzlich an Tuberkulose und starb im Jahre 1852 in Rotterdam, sie war gerade mal 23 Jahre alt. Da der Gouverneur keine Porträts von ihr besaß, beschloss er, ein Denkmal seiner Geliebten errichten zu lassen. Dieses Denkmal steht an der Stelle, wo Ljubotschka gerne spazieren ging. Seitdem heißt diese berühmte Straße Ljubinsky Prospekt und ist eine der ältesten und schönsten Straßen der Stadt. Es gibt eine Legende, wonach das Mädchen, das sich neben Ljuba (Ljubov bedeutet Liebe) auf die Bank setzt, bald heiraten wird. Ob das stimmt, weiß man nicht. Tatsache aber – bei mir hat es geklappt! Zwei Jahre später habe ich wirklich geheiratet und zwar die Frau, die auf dem Foto hinter Ljuba steht ...
Stepanytsch
Vor Kurzem habe ich erfahren, dass "Stepanytsch" kurioserweise im Februar 2011 in einen Verkehrsunfall verwickelt war und in die Schlagzeilen kam. Beim Versuch, einzuparken, passierte einem Autofahrer ein Missgeschick – die Vorderräder seines Toyota blieben "in dem Kulturgut der Stadt" hängen. So geriet "Klempner Stepanytsch" unter die Räder. Die Rettungsarbeiten des Abschleppdienstes dauerten etwa 20 Minuten. "Stepanytsch" kam mit ein paar Kratzer davon.
Auf dem Friedhof
Auf dem Friedhof konnte man sofort sehen, ob einer als reicher Mensch gestorben war, oder als armer, denn dementsprechend unterschieden sich die Grabstätten, einige waren überpompös und mit Marmor-Platten und -Denkmälern ausgestattet, die anderen, die in der Überzahl, schlicht – mit Erdhügel, Holzkreuz und einfachem Zaun aus Gusseisen.
Ja, in Russland werden die Gräber umzäunt, Woher dieser Brauch stammt, müsste ich noch herausfinden. Im nächsten Kapitel "Im Dorf" kann man auf einem Foto gut erkennen, wie so ein Zaun aussieht. Um ins Innere für die Grabpflege zu gelangen, wird in der Umrandung ein kleines Türchen eingebaut.
Unweit vom Friedhof filmt Sylvia, wie die LKWs den Matsch und die Schlaglöcher bewältigen (ein Foto davon gibt es leider nicht).
Am Rand des Gehweges verkaufen Datschabesitzer Blumen, Obst und Gemüse. Obwohl der Begriff Datscha sogleich die Bilder prunkvoller Villen vor unserem inneren Auge entstehen lässt, sind es in diesen Fällen einfache Schrebergärten, die der zusätzlichen Versorgung dienen und viel Arbeit fordern. Ihre Besitzer sind alles Menschen, die nicht viel haben, die versuchen, mit ihrer Ernte ein wenig Geld zu verdienen.
Bevor wir uns auf den Weg in mein Heimatdorf machten, wollte ich für das Grab meiner Mutter einen Blumenstrauß kaufen. Ich stand unschlüssig vor den Blumenverkäuferinnen, sie schauten mich alle erwartungsvoll an und streckten mir ihre Sträuße entgegen: "Nehmen Sie meine! Nehmen Sie meine! Meine sind frisch!". Irgendwie taten sie mir leid, und ich kaufte Blumen gleich bei mehreren Frauen.
Fortsetzung folgt
Kommentar schreiben
Christel Wismans (Samstag, 30 Januar 2016 12:07)
erst heute komme ich dazu, Teil 2 zu lesen.
Total interessant. Mit den Fotos, die den Text begleiten, bzw. umgekehrt, wird diese Reise in die Vergangenheit sehr lebendig. Und- Autofahren würde ich dort auch auf gar keinen Fall!
Liebe Grüße,
Geli (Samstag, 28 Januar 2017 12:27)
Mit großem Interesse habe ich den zweiten Teil gelesen, die Fotos angeschaut. Ich war noch nie dort, bin aber immer reisehungrig. Für dich sicherlich ein Stück Vergangenheit.
LG Geli