Genug

Manchmal berühren Worte auf besondere Weise unsere innere Saite, finden Einklang mit dem, was und wie wir fühlen. Solche Worte waren für mich heute diese Gedanken von Ilona Munique, die sie mir zukommen ließ. Ich möchte sie mit Euch, liebe Leserinnen und Leser, teilen und habe von ihr die Erlaubnis bekommen, den Text auf meiner Homepage zu veröffentlichen. Mehr will ich auch dazu nicht sagen, sondern Euch einfach  lesen lassen ...

 

Dank und Gedanken zu „Andersrum“

 

„Trotz allen Widrigkeiten das Leben gut zu meistern“ ist kein spektakulärer, jedoch existentieller Wunsch. Dieses sagen zu können: "Mein Leben" und "ich habe es gemeistert" sind nun zweierlei. "Mein Leben" heißt natürlich erst einmal, es zu haben, was ja beileibe nicht selbstverständlich ist und permanent gefährdet. Und außerdem heißt es, dieses Leben auch tatsächlich spüren zu wollen (was in Phasen der Depression keine Selbstverständlichkeit ist), es annehmen zu wollen, mit all seinen schönen und hässlichen Facetten. Dazu gehört Gottvertrauen und ein stabiler Unterbau. Lisa, das kleine sibirische Mädchen in „Andersrum“ von Rosa Ananitschev, hatte nur einen relativ schwachen, wäre da nicht die Mutter gewesen, die – wenn auch müde, so doch zur Liebe fähig war. Und wäre da nicht die eigene innere Stärke gewesen, die Lisa so gerade noch am Leben erhielt, die sie in die Welt hinaus brachte und zu einem neuen Anfang. 

„Ich habe es gemeistert" heißt, erst einmal viel, viel zu lernen und dann etliche Prüfungen zu bestehen. Wem da nicht Schweiß und Tränen und schlaflose Nächte einfallen … aber auch die Genugtuung, es geschafft zu haben, ein Reifezeugnis in Händen zu halten, um festzustellen: „Ja, ich bin reif. Ja, ich habe genug getan.“

Genug. Ein kleines Wort, unscheinbar und in der heutigen Zeit nicht sehr gebräuchlich. Das Wörtchen passt nun auf die kleine wie die große Lisa / Rosa wie kein anderes. Genug gelitten. Genug, um zu (über)leben. Genug vom Schweigen. Genug Mut, um eben jenes Schweigen zu brechen. Genug Zeit vergangen, um über die Vergangenheit zu reflektieren. Sie genügend lange von allen Seiten zu betrachten. Genug, um sich ihr zu stellen.

An uns und Lisas / Rosas Umwelt ist es nun, genügend Achtsamkeit für sie mitzubringen, um sie nicht durch das eigene Schweigen wieder in die Finsternis zurück zu treiben. Denn wie Rosa in ihrem „Offenen Brief“ schon treffend erkannte: "Ja, leider gibt es so einen Duh wie in "Andersrum" nicht im wirklichen Leben". Stimmt. Aber es gibt sehr wohl ein DU!

So liegt es nun an dir und mir, dieses DU zu sein. Ein Gegenüber, ein Mensch, ein Kollege oder eine Kollegin oder ein/e Leser/in ihrer erstaunlich unprätentiösen und doch starken Texte. Ich möchte dir nun, liebe Rosa, nach Abschluss unserer 8-tägigen Begegnungen endlich das DU sein, dass genug Zeit hatte, über alles nachzudenken, um „Hallo, Du!“ zu sagen.

Ich habe in Lüdenscheid eine stille, jedoch aufmerksame und empfindsame Frau kennen gelernt, die sich einen Schutzpanzer umgelegt hat, durch den sie – wie es auch bei Schildkröten gut funktioniert – immer wieder einmal mutig ihren Kopf heraus gestreckt hat. Um zum Beispiel schreibend an der Welt teilzuhaben und sie sich zurück zu erobern.

Wird es dir dabei zu viel, schützt dich dein Panzer ganz schnell wieder. Dagegen ist nichts einzuwenden. Behalte ihn dir, doch komm bitte, bitte ganz oft auch wieder aus ihm hervor, beispielsweise, um ein neues Buch zu schreiben. Besser aber noch, den gedruckten Worten gesprochene Worte nachzusenden.

Sprich mit uns, die wir (heimlich oft) ein DU sein wollen, doch manchmal einfach selbst nicht GENUG an Mut haben, GENUG an Achtsamkeit, GENUG an Wärme, GENUG an Lebensfreude … die wir mit Dir teilen können. Ich schlage vor: Sag uns einfach, wann du genug von … hast und wann du nicht genug an … hast und freue dich über jedes „Ich habe genug auch für dich, Rosa, übrig“, das man dir entgegen bringt. Alles andere lässt sich nicht erzwingen. Aber genau das willst du ja auch nicht.

Liebe Rosa, das Beispiel deiner Lisa / Asil hast du gut gewählt und sensibel beschrieben, du hättest es kaum besser machen können. Was, habe ich mir überlegt, ist das mindeste, was du mit der Geschichte erreichen kannst bei Menschen, denen diese oder ähnliche schmerzvolle Erfahrungen erspart blieben (wobei so ziemlich alle irgendwann einmal irgendwas Verstörendes erlebt haben)? Die dich nicht persönlich kennen und mit deinen Geschichten eine Erklärung an die Hand bekommen, warum du so bist, wie du bist? Meine Antwort ist:

Möge das Buch „Andersrum“ (und all die anderen Erzählungen von dir) vielen Menschen helfen, einfach nur menschlich zu bleiben. Denn „ein dunkles Duh“ mag ja zuweilen ein willkommenes Konstrukt zum Überleben sein, doch echte, mitfühlende Menschen, die zu Freunden werden, die auszusprechen vermögen „Ich liebe dich doch auch …“  sind ihm allemal vorzuziehen.

Lass’ uns Freunde sein.

Ilona

 

Ilona Munique, 5.12.2014

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