Licht am Ende des Tunnels?

Meine Frau und ich sind wieder zurück aus Berlin, wo wir vom 26. bis zum 29. Dezember waren und meine Schwester im Krankenhaus besucht hatten. Die Atmosphäre in der Psychiatrie war sehr bedrückend. Weil in der offenen Station kein Bett frei war, befindet sich Aneta in der geschlossenen, und zurzeit ist da auch noch Corona ausgebrochen. Das heißt: Die Patientinnen und Patienten dürfen ihre Zimmer nicht verlassen, werden, sobald sie hinausgehen, wieder zurückgescheucht, und müssen Masken tragen. Also, doppelt und dreifach eingesperrt. Aber wir konnten sie besuchen, wenn auch mit Mundschutz, und sie hat sich sehr darüber gefreut.

Im spärlich eingerichteten und engen Zimmer (nicht einmal ein Fernseher ist vorhanden), das kaum Platz für eine Person bietet, befindet Aneta sich nicht allein, doch leider ist die andere Patientin nur schwer zu ertragen. Sie redet zeitweise ununterbrochen mit sich selbst oder stellt Fragen, sucht irgendwelche verloren gegangenen Sachen. Das ist eine zusätzliche Belastung für meine Schwester. Aber manchmal hat sie ihre lichten Momente, dann kann Aneta sich mit ihr unterhalten. Davor hatte sie eine alte Frau als Zimmernachbarin, die die ganze Nacht schrie … also, Ruhe und Schlaf – Fehlanzeige.

Meine Schwester fühlt sich in der Klinik einsam und unverstanden. Ihre Klagen und Beschwerden werden meistens ignoriert. Es laufen in der Station verrückte Männer herum, dringen in die Zimmer ein und bedrohen die Patientinnen. Einmal bekam ich so etwas live mit, als ich gerade mit Aneta telefoniert hatte. Sie schaltet ja immer den Lautsprecher ein und plötzlich vernahm ich im Hintergrund laute Stimmen zweier Männer. Einer forderte Anetas Mitpatientin auf: „Du bist meine Frau und kommst jetzt mit mir!“ Der andere: „Nein, das ist meine Frau! …“ Aneta legte ihr Handy beiseite und schrie die Eindringlinge an: „Raus hier, aber sofort!“ Ich hörte Gerangel und Gepolter. Nachher erzählte sie, sie habe die beiden hinaus geschubst und einem eine reingehauen, worauf er sie getreten hat. „Jetzt tut mir mein Knie weh.“ Auf meine Frage, ob sie das gemeldet habe, sagte sie nur: „Die Typen kommen manchmal zweimal am Tag rein. Das interessiert keinen.“ Ob das wirklich so stimmt, oder Anetas gestörte Wahrnehmung ist, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, doch ich neige dazu, ihr zu glauben. Heute hat sie mir sogar erzählt, dass sie sich wieder mit einem Eindringling geprügelt hatte, kam aber nicht gegen ihn an, und er hat es geschafft, sie aus dem Zimmer zu zerren. Sie rief um Hilfe und erst dann kam das Personal angerannt und brachte den Mann weg in sein eigenes Zimmer.

Das alles bringt mir so einige unerfreuliche Gedanken ein, was unser Gesundheitssystem betrifft. Wie sollen in solch einer Umgebung psychisch Kranke heilen? Ich würde mir für sie eine vollkommen andere Atmosphäre vorstellen und wünschen, eine achtsame, herzliche und vor allem menschenwürdige. Oder? …

Dennoch scheint es meiner Schwester psychisch besser zu gehen. Sie wirkt lebendiger, zeigt Emotionen. Liegt es wirklich am neuen Medikament? Das wäre fast einem Wunder gleich. Fünf Behandlungen hat sie nun hinter sich – von insgesamt zwölf (voraussichtlich).

Am Samstag konnten wir glücklicherweise Aneta für ein paar Stunden aus der Klinik nehmen und zu ihrem Sohn fahren. So bekam sie wenigstens etwas Ablenkung und – auch wichtig – ihre Wäsche gewaschen.

Beim Abschied sagte sie wieder zu mir: „Wie schön, dass ich dich habe. Danke, dass ihr zwei den weiten Weg auf euch genommen habt, um mich zu besuchen.“

Das Treffen mit uns hat ihr sichtlich gutgetan, entgegen der Befürchtung ihres Sohnes, sie würde, nachdem wir weg sind, doppelt depressiv sein. Überhaupt meinte er, es wäre der unpassende Moment für einen Besuch, solange sie in der Klinik ist.

Dieser Logik nach darf man depressiven Menschen keine Freude machen, da sie, nachdem die Freude vorbei ist, noch depressiver sein würden (?) Das ist definitiv falsch und ich muss sicher nicht erklären, warum ich so denke.

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